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Erfahrungen mit der objektiven Kontrolle

(Text: Michael Wegerich)

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre waren, mit der Einführung eines neuen Ausbildungsprogramms und nach den ersten Erfahrungen mit den (gegenüber der MiG-21PF und SPS) verbesserten aber auch komplexeren Kampfflugzeugen MiG-21M und MF, die Anforderungen an die Effektivität der Gefechtsausbildung gestiegen. Die Manövrierfähigkeit, der Höhen- und Geschwindigkeitsbereich, aber vor allem die Allwettertauglichkeit und die Vielfalt der Waffen sowie der taktischen Verfahren und ihre Anwendung erhöhten die Anforderungen an die Ausbildung des fliegenden Personals. Ein Element zur effektiveren Organisation der Gefechtsausbildung war die Nutzung der neuen Bordgeräte der objektiven Kontrolle, die mit der MiG-21M / MF zur Verfügung standen. Dazu zählten das Fotokontrollgerät SSch-45 zum Fotografieren visuell sichtbarer Ziele und der Zielvorrichtung des optischen Visiers, das Gerät PAU-473 zum Fotografieren des Sichtgerätes des Funkmeßvisiers, der Schreiber zum Registrieren einzelner für die Gefechtsbedingungen charakteristischer Signale in den Übungsraketen und als Neuerung der Flugdatenschreiber SARPP-12 der 12 statt nur 2 Daten des barometrischen Schreibers der MiG-21F-13 / PF und SPS aufzeichnete.

In der Richtlinie der LSK/LV von 1983 zur Auswertung des Materials der objektiven Kontrolle, R 101/8/006 hieß es:

"Zum Verkürzen der Dauer und zum Erhöhen der Qualität der Ausbildung des fliegenden Personals muß die Methodik der Ausbildung ständig vervollkommnet und eine maximale Effektivität der Gefechtsausbildung bei jedem Flug erreicht werden. Große Bedeutung für die Vervollkommnung der Methodik der Ausbildung des fliegenden Personals hat die Organisation der objektiven Kontrolle.

Die objektive Kontrolle ist ein System der vom Kommandeur durchzuführende Maßnahmen, gerichtet auf die komplexe Nutzung aller strukturmäßigen Bord- und Bodengeräte zur

  1. Bewertung mit Nutzung von Geräten,
  2. Analyse und Beurteilung der Handlungen des fliegenden Personals während des Fluges sowie der Arbeit der Besatzungen der Gefechtsstände (GS) und der Flugleiter beim Leiten der Flugzeuge,
  3. Kontrolle des einwandfreien Zustandes der Flugzeugtechnik."
An anderer Stelle wurde in der Richtlinie festgestellt:

"Einen großen Nutzen hat bei der Anwendung der Mittel der objektiven Kontrolle der auszubildende Flugzeugführer. Er erhält die Möglichkeit, die Ergebnisse seines Fluges mit den Ergebnissen analoger Flüge von Flugzeugführern mit größerer Erfahrung objektiv zu vergleichen, Fehler richtig zu analysieren und die Wege zum weiteren Vervollkommnen seines Ausbildungsstandes zu bestimmen.

Die Erfahrungen bei der Durchführung des Kunstfluges mit Grenzflugzuständen, der Luftkampfmanöver sowie des Schießens mit Raketen und Kanonen zeigen, daß das fliegende Personal diese Flüge sicherer und mit hoher fliegerischer Disziplin durchführt, wenn nach jedem Flug die Ergebnisse aufmerksam und qualifiziert ausgewertet und aufgetretene Fehler analysiert werden. Auf der Grundlage einer solchen Analyse kann folgerichtig der Inhalt der Aufgabe kompliziert und eine vollständigere und bessere Ausnutzung der flugtaktischen Eigenschaften des Flugzeuges und seiner Bewaffnung durch den Flugzeugführer erreicht werden."

In der Tat hatte sich nach der Umschulung im Jahre 1976 von der MiG-21F-13 des JAG-15 auf die MiG-21M / MF des JG-8 die Art der Auswertung der Flüge und damit auch die Ausbildung verändert. Wurde auf der MiG-21F-13 nur der Film des optischen Visiers bei einem Waffeneinsatz zur Auswertung herangezogen, der barometrische Schreiber für Höhe und Geschwindigkeit hatte wegen der Ungenauigkeit bei einer schnellen Auswertung zu wenig Aussagekraft für eine Übungsbewertung, standen bei der MiG-21M / MF eine Reihe von Daten zur Bewertung des Fluges zur Verfügung, die im Auswertezentrum (AWZ) aufbereitet und den Kommandeuren oder dazu befohlenen Offizieren zur Bewertung vorgelegt wurden. Neben dem Schreiberband der Übungsraketen, den Filmen des optischen und Funkmeßvisiers waren es die Daten des Flugdatenschreibers SARPP die Steuerfehler, Verletzungen von Flugparametern und Abweichungen vom Flugauftrag zu Tage bringen konnten. Der SARPP zeichnete die Höhe, die Geschwindigkeit, das Lastvielfache in vertikaler und horizontaler Richtung, die Drehzahl des Triebwerkes und den Ausschlagwinkel der Höhenflosse als analoges Signal und die Betätigung des Kampfknopfes, das Einschalten des Autopiloten, Triebwerkshebel auf Maximal- und Nachbrennerleistung sowie Druckabfall im Hydraulikhaupt- und Verstärkersystem als binäres Signal auf. Darauf hatte ich mich eingestellt und bei manchem Flugmanöver stellte ich mir die Linien der unterschiedlichen Parameter auf dem Auswerteblatt vor. Stimmten sie mit den Ideallinien überein? Am nächsten Tag nach dem Flugtag, nach Vorlage der vollständigen Auswertung, konnte jeder selbst bewerten, wie genau er die entsprechenden Flugparameter eingehalten hatte und wie gut die eigene Steuertechnik war.

Oft war man mit sich selbst kritischer als die Vorgesetzten. Meistens hatte man beim Flug diesen "Spion" vergessen und war voll auf seine Flugaufgabe konzentriert wie bei einem Übungsflug zur simulierten Bekämpfung von Erd- oder Bodenzielen mit ungelenkten Raketen des Typs S-5 bei Anwendung des Manövers Kampfkurve mit einem Sturzwinkel von 45 Grad. Da wir in unserer Kette (kleinste fliegende Einheit mit 4 Flugzeugführern) bei den letzten Flügen nur Sturzwinkel zwischen 30 und 40 aber kaum 45 Grad erreichten, machten wir einen Wettbewerb. Wer erreicht den größten Sturzwinkel aus dem Manöver Kampfkurve bei Treffern der Raketen im Ziel? Ich begann etwas früher mit dem Manöver und zog die Maschine noch steiler als die Flüge zuvor nach oben. Nach dem Ausleiten der Kampfkurven hatte ich das Gefühl, fast senkrecht über dem Ziel zu sein und erreichte Sturzwinkel zwischen 45 und 50 Grad. Beeindruckt von dem ungewohnten Winkel und der mit 800-900 km/h herannahenden Erde, fing ich das Flugzeug nach Erreichen der Schußentfernung und dem simulierten Abschuß der Rakete energisch ab. Alle Schüsse waren auf dem Schießfilm nachweisbare Treffer und die minimale Höhe von 200 m über dem Ziel wurde auch nicht unterschritten. Ich war mit mir und dem Flug zufrieden. Als ich mich an dem Flugtag zum nächsten Flug abmelden wollte, wurde mir mitgeteilt, daß ich heute zum Fliegen nicht mehr erwünscht, und mein Flug gestrichen sei. Die Zwischenflugauswertung ergab vertikale Lastvielfache beim Ausleiten aus dem Sturzflug bei allen Angriffen zwischen 6 und 8,5 g. Das taktische Verfahren sah aber nur Lastvielfache von 4,5 bis 5 g zum Abfangen aus dem Sturzflug vor und waren bei Einhaltung aller anderen Flugparameter auch ausreichend. Die hohen Lastvielfachen waren eigentlich unnötig und hätten in den doch geringen Abfanghöhen zu gefährlichen Flugsituationen führen können. Erst nach einer selbstkritischen Analyse dieses Fluges in der folgenden Flugvorbereitung durfte ich mich auf Flüge für den kommenden Tag vorbereiten. Ohne den Flugdatenschreiber SARPP wären die Abweichungen von dem bestehenden taktischen Verfahren nie aufgefallen.

Das System der objektiven Kontrolle war aber bei manchen Fehlern zu überlisten wie zum Beispiel bei dem folgenden Übungsflug. Ich erhielt den Flugauftrag ein Übungsziel in geringen Höhen (300 m) abzufangen und mit selbstlenkenden passiven Infrarotraketen des Typs R-3S (AA 2) zu vernichten. Die Jägerleitstelle gab mir entsprechende Zielinformationen und Leitkommandos, so daß ich das Ziel östlich der Oder auf Nordkurs schnell orten und abfangen konnte. Die Zielmanöver erschwerten mir das Zielen nur unwesentlich. Ich war in Schußposition innerhalb der erlaubten Schußentfernung und das Tonsignal der Übungsrakete signalisierte mir das Erfassen des Zieles durch den Infrarotsuchkopf der Rakete. Ich simulierte 3 sichere Abschüsse der Rakete R-3S auf das Ziel und ging danach aus dem Angriff. Als ich im Anflug auf den Flugplatz Marxwalde war, fiel mir auf, daß das Tonsignal der Rakete nach dem Abschuß nicht verloschen war. Normalerweise verlischt das Signal ca. 2 Sekunden nach dem Drücken des Kampfknopfes und signalisiert den simulierten Abgang der Rakete. Irgend etwas stimmte hier nicht? Nach einem Kontrollblick auf die Waffenschalter sah ich, daß der Schalter Raketenheizung nicht eingeschaltet und damit das Schreiberband der Übungsrakete nicht in Betrieb war. Ich hatte nun auf dem Film der Schießkamera drei schöne Abschüsse der Rakete aufgezeichnet jedoch ohne den Nachweis auf dem Schreiberband der Rakete. Man hätte mir einen Bedienungsfehler der Waffenanlage nachweisen können und der Flug wäre nicht erfüllt. Ich hörte schon die Vorwürfe an mich als jungen Leutnant. Schlechte Vorbereitung! Wiederholung des Fluges! Verschwendung von Ressourcen! Das wollte ich mir ersparen. Ich brauchte eine Wärmequelle als Ziel für die Übungsrakete. Mein Übungsziel war schon weit aus meinem Flugraum entfernt. Ein weiteres Problem tat sich auf, auch wenn ein Ziel verfügbar wäre. Nach weiteren Abschüssen hätte ich zwar 3 Abschüsse auf dem Schreiberband der Rakete aber 6 Abschüsse auf dem Film und 6 Signale Drücken des Kampfknopfes auf dem Flugdatenschreiber SARPP. Wie sollte ich das erklären? Aus der theoretischen Umschulung auf die MiG-21MF wußte ich noch, daß nicht nur die Fotokontrollkamera, sondern auch der Signalgeber Kampfknopf des SARPP mit dem Schalter FKP (Fotokontrollkamera) eingeschaltet werden. Wenn ich jetzt den Schalter FKP ausschalte, wäre eine weitere Aufzeichnung der Abschüsse auf dem Film und dem SARPP nicht mehr möglich. Ich schaltete also FKP aus und Raketenheizung ein. Fehlte nur noch ein Wärmeziel. Es war 12.30 Uhr an einem wolkenlosen Sommertag 1976. Es blieb mir nur noch die Sonne senkrecht über mir als sicheres Wärmeziel. Mit Nachbrennerleistung beschleunigte ich auf 900 km/h, zog die Maschine senkrecht in die Luft und zielte auf die Sonne. Sofort hatte ich den gewünschten Signalton der Rakete und drückte dreimal in gleichen Abständen wie zuvor den Kampfknopf und bannte drei Abschüsse auf das Schreiberband der Rakete. Inzwischen war die Maschine von 300 auf fast 2000 m gestiegen und ich war nicht mehr weit vom Flugplatz entfernt, da sah ich noch in Rückenlage beim Ausleiten des Vertikalmanövers eine MiG von rechts unter mir in die Platzrunde einfliegen. Da hatte ich auch gleich meine Ausrede für das Vertikalmanöver. Ich mußte der anderen Maschine ausweichen, bevor ich ebenfalls in die Platzrunde einflog. Die Auswertung der Materialien der objektiven Kontrolle ergab, daß dieser Übungsflug entsprechend der Bewertungsnorm mit "sehr gut" erfüllt wurde. Es gab niemals eine Frage zu diesem Flug.

Unwissenheit über bordeigene Kontroll- und Aufzeichnungsgeräte sowie falsche Bedienung kann zu ungerechtfertigten Anschuldigungen führen, wenn der Nachweis der richtigen Handlungsweise fehlte.

Wir erreichten nach der Umschulung auf die MiG-21M / MF inzwischen einen Ausbildungsstand, der es erlaubte uns für die erste Gefechtsrate am Tage einzuplanen und einzusetzen. D.h. wir mußten innerhalb von 30 Minuten nach einer Alarmierung, egal ob wir uns zu Hause oder im Dienst befanden, mit vollständiger Flugausrüstung in einer zugewiesenen MiG-21M / MF angeschnallt und bereit sein, das Triebwerk einer MiG für Einsätze bei allem Wetterbedingungen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang anzulassen. Als junge Leutnants waren wir stolz, solch eine Aufgabe übernehmen zu dürfen. Ich hatte die erste Wohnung in meinem Leben zugewiesen bekommen und war mit Renovierungsarbeiten beschäftigt. Zur Gefechtsrate war ich an dem Tag nicht eingeteilt. In einem alten Trainingsanzug stand ich mit weißer Farbe bespritzt auf einer Leiter, um die Decke zu weißen, als die Hupe im Treppenhaus die erste Gefechtsrate alarmierte. Obwohl ich nicht eingeteilt war, ließ ich alles stehen und liegen, rannte die Treppe hinunter, stürzte mich auf mein Fahrrad und radelte so schnell ich konnte zum Flugplatz in die 3. Staffel. Dort wurde mir eine MiG zugewiesen. Ich legte mir die befohlene Flugausrüstung an und begab mich schnellstens zu der GDF (geschlossene Deckung für Flugzeuge), kletterte in die Kabine der MiG und schnallte mich an. Es waren noch keine 30 Minuten seit der Alarmierung vergangen, als der Flugzeugtechniker meine Einsatzbereitschaft melden konnte. Vom Gefechtsstand wurde gefragt "großer oder kleiner Helm". Wir antworteten "Halbhelm". Darauf kam das Kommando "Anlassen". Ich ließ das Triebwerk an und rollte zügig zur Startposition auf der SLB (Start und Landebahn). Beim Aufrollen auf die SLB rollte fast zeitgleich eine andere Maschine vor mir auf die Bahn. Wir tauschten kurz unsere Indexe (Rufzeichen) aus, meldeten Startbereitschaft und erhielten Starterlaubnis als Paar (Zweierformation). Der Flugzeugführer der anderen MiG war ebenfalls ein Leutnant aus der 3. Staffel. Wir waren beide zum Paarführer ausgebildet, so daß es gleich war wer führte. Da er Sekunden vor mir aufrollte und ich mich in die Geführtenposition stellte, übernahm er die Rolle als Paarführer. Nur für kurze Zeit, denn der Gefechtsstand nahm uns noch im Steigflug auseinander und wies uns verschiedene Ziele zu. Schon nach der ersten Kursänderung bekam ich in sehr kurzer Abfolge Zielinformationen und Leitkommandos. "Ziel von rechts nach links, Entfernung 3". Der Leitprozeß war alles andere als schulmäßig. Ich sah das Ziel am rechten Bildschirmrand wie es sich zügig zur Mitte zu bewegte. Ich dachte, wenn ich nicht sofort energisch nach links einkurve, verliere ich das Ziel. Mit 70 bis 80 Grad Schräglage kurvte ich nach links und konnte das Zielzeichen gerade noch im Zielkreis halten. Ich schaltete kurz auf Kennungsabfrage (Abfrage der Freund - Feindkennung, um den Abschuß eines eigenen Flugzeuges zu vermeiden), sah die Kennung und drückte den Zielerfassungsknopf. Ein alter erfahrener Oberstleutnant (Brucke), der in der Luft war und den Funk mithörte, fragte mich in dem Prozeß, ob ich die Zielbekämpfung schaffe oder ob ich Unterstützung brauche. Ich lehnte ab, denn ich hatte alles im Griff. Das Ziel war erfaßt, ich konnte es gerade so im Zielkreis halten, die Abschußentfernung war erreicht und ich bewegte mich zügig auf die minimale Schußentfernung zu. Ich schaffte es noch vor dem Ausgang aus dem Angriff zwei Raketen simuliert abzuschießen. Mein erster Einsatz während einer Alarmierung war erfolgreich beendet, so glaubte ich. Am nächsten Tag bei der großen Auswertung der Alarmierung im Geschwader rechnete ich mit einem Wort der Anerkennung, bin ich doch ohne Gefechtsrate zu haben innerhalb der befohlenen Zeit am Flugzeug gewesen und hatte einen fehlenden, zur Gefechtsrate eingeteilten Flugzeugführer ersetzt. Für meinen Ausbildungsstand meisterte ich letztendlich ein schwieriges Abfangen. Weit gefehlt. Ich wurde wegen eines Verstoßes gegen die Sicherheitsbestimmungen heftig gerügt und das Schießen wurde mit "ungenügend" bewertet. Auf dem Schießfilm war keine Kennungsabfrage sichtbar. Diese Abfrage war jedoch erforderlich, um die Bekämpfung eines Eigenen auszuschließen. Ich konnte mir das nicht erklären. In der Staffel, im einem ruhigen Gespräch mit einem erfahrenem Flugzeugführer erfuhr ich, daß die Schießkamera beim Drücken des Kampfknopfes 8 Bilder pro Sekunde macht, jedoch zuvor nur alle 2,5 Sekunden ein Bild. Um die Kennungsabfrage nachzuweisen, mußte ich den Schalter mindestens 2.5 Sekunden eingeschalten lassen. Eine lange Zeit für die Situation und der Zeitnot, in der ich am Vortag war. Ich erfuhr auch, daß man mit eingeschalteter Abfrage des Funkmeßvisiers problemlos auf Zielerfassung/zielbegleitung umschalten konnte. Das sparte Zeit und einen Handgriff. Dieser "Fehler" war mir in meinem 20 jährigen Fliegerleben nicht wieder passiert. Der zur Gefechtsrate eingeteilte und nicht zum Alarm erschienene Flugzeugführer wurde nicht nach den Gründen befragt oder gar dafür gerügt. Ich bin zukünftig, ohne zur Gefechtsrate eingeteilt zu sein, bei Alarm nie mehr zum Flugzeug geeilt.

Die Mittel zur objektiven Kontrolle hatten aber auch ihre guten Seiten. Sie konnten im Zweifelsfalle die Unschuld beweisen.

Neben den hauptsächlichen Gefechtsaufgaben der Jagdfliegereinheiten- und Besatzungen konnten diese auch zur Luftaufklärung eingesetzt werden. In der VVS Dienstvorschrift DV 111/0/025 Gefechtseinsatz der Jagdfliegerkräfte von 1989, wurde zur Luftaufklärung folgendes festgelegt:

"176. (1) Die Luftaufklärung hat die Jagdfliegerstaffel ketten- oder paarweise in der taktischen und nächsten operativen Tiefe des Gegners nach Plan oder gleichzeitig mit der Erfüllung anderer Gefechtsaufgaben durchzuführen.

(2) Objekte der Luftaufklärung der Jagdfliegereinheiten sind:
  1. Einheiten operativ-taktischer Raketen des Gegners in Stellungsräumen,
  2. Kernwaffeneinsatzmittel der gegnerischen Artillerie in Feuerstellungen,
  3. Flugplätze des Gegners,
  4. Verteidigungsabschnitte, -streifen und knoten sowie Stützpunkte der gegnerischen Truppen,
  5. Kräfte und Mittel der Luftverteidigung/luftabwehr des Gegners,
  6. Eisenbahn- und Kfz-Transporte des Gegners,
  7. Führungsorgane, Führungsstellen und funktechnische Mittel des Gegners.
Außerdem werden die Jagdfliegereinheiten zur Luftaufklärung der Luftlage und des Wetters eingesetzt. (3) Die Gefechtsaufgabe zur Luftaufklärung besonders wichtiger Objekte ist den Besatzungen vom Kommandeur oder Stabschef des Geschwaders unmittelbar zu stellen. 177. (1) Als Methoden der Luftaufklärung zur Erfüllung der befohlenen Gefechtsaufgaben haben die Jagdfliegereinheiten anzuwenden:
  1. die visuelle Beobachtung,
  2. die Luftbildaufklärung,
  3. die Luftaufklärung mit funkelektronischen Mitteln.
(2) Die visuelle Beobachtung ist bei allen Gefechtsflügen mit dem Ziel anzuwenden, die Führungsorgane unverzüglich über eingetretene Lageveränderungen zu informieren." Die Aufgabenstellung zu meinem ersten Übungsflug zur Luftaufklärung erhielt ich als junger Leutnant direkt vom Stellvertreter des Kommandeurs für fliegerische Ausbildung. Der Flugauftrag lautete: Aufklärung der Fla-Raketenstellung nahe PRÖTZEL aus 300 m Flughöhe und Erstellung einer Skizze über das Aussehen und die Dislozierung der Objekte der Fla-Raketen-Einheit nach der Landung. Bisher hatte ich noch nie von diesem Ort gehört, geschweige von einer Fla-Raketenstellung. Hätte mir nicht ein älterer Flugzeugführer einen Tip gegeben, ich hätte den Ort nicht mal auf der Karte gefunden. Jetzt schien alles recht einfach. Ich mußte nur den Ort PRÖTZEL nordöstlich von Strausberg finden und dann würde ich auch die Fla-Raketenstellungen entdecken. Bei Sonnenschein und guten Sichten war es auch nicht kompliziert. Die militärisch angelegten Betonstraßen, die an zum Teil getarnten Gebäuden oder Bunkern endeten, verrieten schnell die Stellung. Ich war beeindruckt von der Größe der Anlage. Bunker und Gebäude verbunden durch Betonstraßen, abgestellte Tankwagen und Spezialfahrzeuge sowie die in den Himmel gerichteten Fla-Raketen auf ihren Rampen waren zu sehen. Es machte richtig Spaß, die Stellungen zu überfliegen und zu beobachten. Da ich noch viel Zeit bis zur geplanten Landung und ausreichend Kraftstoff hatte, stellte ich das Triebwerk auf 100% Leistung und ließ die Maschine laufen. Bei Erreichen von 800 km/h gab ich 70 bis 80 Grad Schräglage und zog die Maschine in eine 180 Grad Kurve. Dabei sank die Geschwindigkeit auf 600 km/h und wieder ließ ich die MiG laufen. So flog ich ca. 20 Minuten in 300 m Höhe mit 600 bis 800 Km/h Geschwindigkeit um die Stellungen. Ich hatte alles gesehen und mir eingeprägt. Eine Skizze anzufertigen, war jetzt kein Problem mehr. Als ich nach dem 35-minütigen Flug die Maschine an der Vorstartlinie abstellte, wurde ich schon von der Geschwaderführung erwartet. Der SARPP-Film wurde mir gleich abgenommen und der Vorwurf erhoben, ich hätte im Tiefflug 20 Minuten eine aktiv im DHS (diensthabendes System) der Luftverteidigung stehende Fla-Raketeneinheit terrorisiert und an der Aufgabenerfüllung gehindert. Schockiert über den Vorwurf begann ich mich zu verteidigen. Ich fühlte mich unschuldig, erläuterte meinen Flugauftrag und gab an, von wem ich ihn erhielt. Die Auswertung des Flugdatenschreibers lag nach kurzer Zeit vor. Sie ergab keine Verletzung der befohlenen Höhe oder eine andere Abweichung vom Flugauftrag. Dies wurde mir auch offiziell mitgeteilt und plötzlich interessierte sich niemand weiter für den Flug oder gar für die "Aufklärungsergebnisse". Eine Skizze von der Fla-Raketenabteilung wollte keiner mehr von mir sehen. Ich glaube, danach wurde solch ein Flugauftrag wie ich ihn erhielt, wenn überhaupt nur noch nach Absprache mit der Fla-Raketeneinheit und wenn sie nicht Aufgaben im DHS zu erfüllen hatte, erteilt.

Bei diesem Flug war ich das erste Mal froh, einen Flugdatenschreiber im Flugzeug zu haben. Er war jetzt nicht mehr nur der "Spion", der mir beim Fliegen auf die Finger schaute, um meine Fehler zu präsentieren. Er war mehr!