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erschienen in FLiEGERREVUE extra 15

Anmerkung: Durch einen Fehler der Redaktion wurden ein Teil des letzten Satzes des Artikels sowie die Namen der Autoren nicht abgedruckt. Dies wurde hier korrgiert.
 

Regiment oder Geschwader?

Jedem, der sich mit der Luftfahrt im früheren sowjetischen Einflußgebiet beschäftigt, stellt sich früher oder später die Frage nach der Übersetzung des Begriffs полк, der eine größere selbständige Fliegereinheit beschreibt.

Auf den ersten (flüchtigen) Blick scheint die Sache klar: der deutsche Fachbegriff hierfür lautet Geschwader. Schaut man aber in Wörterbücher, findet man dort für полк (Russisch und Bulgarisch), pluk (Tschechisch), pułk (Polnisch) oder puk (Serbo-Kroatisch) stets die Entsprechung »Regiment«; und zwar unabhängig davon, ob es sich um Einheiten der Luft- oder Landstreitkräfte handelt. Beim rumänischen Terminus Regimentul erübrigt sich das Nachschlagen.
Doch wie sehen das die Akteure selbst? Band 3 der deutschen Ausgabe der »Sowjetischen Militär- enzyklopädie« aus dem Jahre 1978 unterscheidet zwischen »awiazionnoje krylo« (engl. fighter wing, Flieger- geschwader) und »awiazionnoje polk« (Fliegerregiment). Als »awiazionnoje krylo« definiert die Enzyklopädie die »taktische Grundeinheit der Fliegerkräfte der USA und anderer kapitalistischer Staaten, die selbständig Gefechtsaufgaben zu lösen vermag und in der Regel aus mehreren Staffeln derselben Fliegergattung ... besteht.« Ein »awiazionnoje polk« wird in der gleichen Quelle als »Grundeinheit der Fliegerkräfte« beschrieben, welche »für taktische und operativ-taktische Aufgaben bestimmt ist und aus mehreren, in der Regel mit Flugzeugen desselben Typs ausgerüsteten Fliegerstaffeln ... besteht.« Soweit bestehen also noch keine grundlegenden Unterschiede. Daß es sich
dennoch um grundverschie- dene Strukturen handelt, wird klar, wenn weiter dargelegt wird, daß das (US-amerikanische) »Flieger- geschwader ... der taktischen Fliegerkräfte bis zu 72 und das der bordgestützten Marinefliegerkräfte bis zu 100 Kampfflugzeuge« zählt. Die Fliegerregimenter der sowjetischen Luftstreitkräfte (und der mit ihnen verbündeten) verfügten seit dem zweiten Weltkrieg über 32 bis 40 Flugzeuge (je nach Aufgabe). Neben den quantitativen Unterschieden macht die »Sowjetische Militär- enzyklopädie« auch auf die Besonderheiten hinsichtlich der Organisation aufmerksam: Das Fliegergeschwader »ist auf 1 - 3 oder mehreren Flugplätzen ... basiert«, das Fliegerregiment im Regelfall nur auf einem. Während ein Regiment über zwei bis drei Staffeln verfügt, bestanden deutsche Jagdfliegergeschwader im zweiten Weltkrieg aus bis zu vier Gruppen mit bis zu vier Staffeln, von denen jede auf einer anderen Basis stationiert war und weitgehend unabhängig vom Geschwader- stab agierte. Die entschei- denden Unterschiede zwischen »Regiment« und »Geschwader« liegen also in Größe und Struktur, aber auch im Grad der Zentralisierung. Für diejenigen, die mit Blick auf die Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der NVA argumentieren, daß dort Fliegereinheiten mit drei Staffeln und ca. 40 Flugzeugen als Geschwader bezeichnet wurden und daß »Geschwader« demzufolge doch die korrekte Übersetzung ins Deutsche sei, hat die »Sowjetische Militärenzyklopädie« noch eine wesentliche Aussage parat: »Es (das Fliegergeschwader der NVA) ist in Struktur, Einsatzprinzipien und Gefechtsaufgaben mit einem Fliegerregiment identisch«. Warum wurde dann der Begriff Fliegerregiment nicht verwendet? Er wurde. Beim Vorläufer der Nationalen Volksarmee, der Kasernierten Volkspolizei (KVP) war die Bezeichnung Fliegerregiment üblich. Es waren sowjetische Berater, die den DDR-Militärs in einer Phase der Rückbesinnung auf nationale Traditionen nicht nur deutsche Uniformen, sondern auch die Verwendung deutscher Begriffe nahelegten. Daß dessen ungeachtet bei der NVA gleichen sowjetisch geprägten Strukturen wie in den anderen Ländern Ost- und Südosteuropas entstanden, wird deutlich, wenn man an der Oberfläche der Begrifflichkeiten kratzt: die Fliegergeschwader der LSK / LV wurden eben nicht von Kommodores und Staffelkapitänen geführt, sondern von Geschwader- (= Regiments-) und Staffelkommandeuren.
Wie sehr der Begriff Regiment mit sowjetisch geprägten Strukturen verbunden ist, zeigt auch die Tatsache, daß alle Staaten des ehemals sowjetischen Einflußgebiets, die heute Mitglied der NATO sind oder eine solche Mitgliedschaft anstreben, ihre Fliegereinheiten neu strukturiert und benannt haben. Aus полк, pluk, pułk, puk oder Regimentul wurde авиобаза, základna taktickeho letectva, eskadra lotnicztwa taktycznego, avijacijska baza oder Baza Aeriana.
Wenn man bedenkt, mit welchem finanziellen und organisatorischen Aufwand solche Umstrukturierungen verbunden sind und wie sehr diese die ohnehin knappen Budgets der Luftstreitkräfte Ost- und Südosteuropas belasten, wird klar, daß es beileibe nicht egal ist, ob es sich bei einer Fliegereinheit um ein Regiment (sowjetischen Zuschnitts) oder ein Geschwader handelt. Das eine steht für Strukturen, die im Ergebnis sowjetischer Erfahrungen des zweiten Weltkriegs entstanden und heute so nur noch in den Staaten der GUS existieren, das andere für die militärische Denkweise innerhalb der NATO.

Holger Müller / Stefan Büttner