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(Text: Michael Wegerich) Die Gipfelhöhe eines Flugzeuges (zumindest die statische Gipfelhöhe) ist die größte Flughöhe, in der das Flugzeug mit konstanten Flugparametern horizontal fliegen kann. Das heißt, die Gipfelhöhe als Betriebsgrenze des Luftfahrzeuges in der Höhe ist erreicht, wenn der maximale Triebwerkschub (mit Nachbrenner) gleich dem Luftwiderstand und der maximal mögliche Auftrieb gleich dem Fluggewicht ist. Ein Horizontalflug mit konstanter Geschwindigkeit ist demnach oberhalb der statischen Gipfelhöhe nicht möglich. Beim Flugmanöver "Hochziehen" kann jedoch eine noch höhere - dynamische - Gipfelhöhe erreicht werden, jedoch mit ständigem Geschwindigkeitsverlust. Diese Flughöhen sind aus aerodynamischer Sicht ein Grenzbereich und für die Flugzeugtechnik höchste Belastung. Kleinste Fehler können große Auswirkungen haben. Für den Menschen ist dieser Höhenbereich ohne besondere Ausrüstung binnen weniger Sekunden tödlich. Durch den geringen Luftdruck (weniger als ein Zehntel des Druckes an der Erdoberfläche) platzen die Blutgefäße und Körperflüssigkeiten beginnen zu sieden, werden also gasförmig. Weiterhin ist der Sauerstoffanteil der Luft zu gering zum Überleben. Auch der Flugzeugkraftstoff würde nicht mehr durch die Kraftstoffleitungen zur Brennkammer des Triebwerkes fließen, sondern kochen, stünde er nicht unter dem notwendigen Kraftstoffdruck. Der Pilot sitzt in einer schützenden, hermetisch geschlossenen Druckkabine, trägt einen Druckanzug und wird bei Notwendigkeit durch einen speziellen Helm (Druckhelm oder Vollhelm genannt) mit reinem Sauerstoff und Überdruck beatmet. Dieser Vollhelm besitzt zusätzlich eine Scheibenheizung (wie die Heckscheibenheizung beim Auto; feine, kaum sichtbare Drähte) und ein Ventilationssystem, um ein Beschlagen der Sichtscheibe zu vermeiden, da er wie ein Kosmonautenhelm vollständig geschlossen ist. Die komplette Ausrüstung des Piloten für solche Höhenflüge ist nicht sehr bequem, sichert ihm aber das Überleben bei Enthermetisierung (Undichtheit der Kabine, z.B. durch Beschuß oder technischem Defekt) oder beim Katapultieren (Verlassen des Flugzeuges). Bei der MiG-21SPS lag die Dienstgipfelhöhe (statische Gipfelhöhe) bei 19.500 m bei einer Geschwindigkeit von Mach (M) 1,8 (der 1,8fachen Schallgeschwindigkeit). Unsere Ziele, auch MiG-21, flogen in 18.000 m Höhe mit M 1,4 (der 1,4fachen Schallgeschwindigkeit). Um die Leistungsklasse II (es gab drei, I war die höchste Qualifikation) zu erreichen, mußten Abfangflüge in der Gipfelhöhe am Tage erfüllt werden. Auch ausgebildete Flugzeugführer waren verpflichtet, jährlich zwei Abfangflüge in der Gipfelhöhe am Tage oder in der Nacht erfolgreich durchführen. Diese Flüge waren die "hohe Schule" und nicht jeder Flug war erfolgreich. Mal lag es am Jägerleitoffizier, mal am Flugzeugführer selbst, aber selten war die Technik am Mißerfolg schuld. Flugzeugführer und Jägerleitoffizier, auf beide kam es gleichermaßen an, mußten die schwierige Aufgabe des Manöveraufbaus beherrschen, um rechtzeitig Höhenaufklärer oder Überschallbomber vor Erreichen ihrer Ziele zu bekämpfen. Der erste Schritt in dieser Ausbildung waren sogenannte M+H-Flüge (Mach- oder Geschwindigkeits- und Höhenflüge). Sie dienten dem Kennenlernen des Flugverhaltens der MiG in Höhen bis zur Gipfelhöhe und bei Geschwindigkeiten bis zur zweifachen Schallgeschwindigkeit. Dabei lernte man - nebenbei - auch den Umgang mit der Höhenschutzausrüstung, das Anlegen von Druckanzug und Vollhelm, die Überprüfung der Ausrüstung am Boden sowie die Besonderheiten und Einschränkungen, die diese Ausrüstung für Piloten in der Luft mit sich brachte. Der Hauptschwerpunkt dieser Einweisungsflüge aber lag im Erlernen der Steuertechnik beim Flug vom Unterschall in den Überschallbereich ("Durchbrechen der Schallmauer") und die Anwendung des optimalen Steigprofils bei geringstem Kraftstoffverbrauch. Da man sehr lange mit Nachbrenner flog und zum Beschleunigen in den Überschall und dem folgenden Steigflug sehr viel Kraftstoff verbrauchte, kam es auf jeden Tropfen an. Neben der genauen Zeitberechnung und dem optimalen Leitprozeß durch den Jägerleitoffizier waren die richtige Nutzung des Nachbrenners und eine "saubere" Steuertechnik - bei dem effektivsten Flugprofil - entscheidend für den Kraftstoffverbrauch. Große Reserven, etwa einen "zweiten Angriff", gab es nicht. Bei den Flügen wurde sogar der minimal erlaubte Landekraftstoff von 500 auf 300 Liter herabgesetzt. Dieser Restkraftstoff reichte dann höchstens noch für eine kleine Platzrunde, wenn die Landung nicht aus dem ersten Anflug möglich war. Als "alter" Oberleutnant mit Leistungsklasse II hatte ich M+H-Flüge schon auf der MiG-21F-13 und der MiG-21MF durchgeführt. Die Flugeigenschaften beider MiGs waren bei diesen Flügen sehr unterschiedlich. Auch die M+H-Flüge auf der MiG-21SPS lagen lange hinter mir. Ich besaß also schon einige Erfahrungen im Abfangen in der Gipfelhöhe. Jedes einzelne Gipfelhöhenabfangen hatte ich bisher erfolgreich erfüllt, auch wenn mal der Leitprozeß nicht optimal war, konnte ich durch ein leicht verändertes Flugprofil bei entsprechend angepaßten Flugparametern Leitfehler korrigieren. Der Abfangflug galt aber nur dann als erfüllt, wenn man auf dem Schießfilm den sicheren (imitierten) Abschuß nachweisen konnte. D.h. man mußte das Ziel rechtzeitig erfassen, also rechtzeitig auf dem Bildschirm haben und die Freund-Feind-Kennung abfragen, um nachzuweisen, daß es auch wirklich das gegnerische Ziel war. Das Umschalten auf Zielbetrieb, das Einfliegen in den erlaubten Schußbereich und das Einhalten des zulässigen Richtfehlers beim Abschuß der Lenkrakete mußte dokumentiert sein. Auch das Herausgehen aus dem Angriff, spätestens an der minimalen Schußentfernung, mußte auf dem Film, den eine Kamera vom Bildschirm des Funkmeßvisiers machte, erkennbar sein. Der sichere Abschuß, nachgewiesen auf dem PAU-Schießfilm, war mir bisher immer gelungen. Durch ein optimales Flugprofil, unterstützt durch einen guten Leitprozeß konnte ich meist mit einer Kraftstoffreserve über 500 l landen. Bei bisherigen Flügen zog ich die MiG mit M 1,8 10 km hinter dem Ziel aus 13 km Höhe hoch, näherte mich im Steigflug auf 5-6 km meinem Ziel an und konnte schon in 15-16 km Höhe schießen, den Nachbrenner ausschalten und in den Gleitflug übergeben, ohne auf Zielhöhe zu steigen. Das sparte Kraftstoff und sicherte einen schnellen überraschenden Angriff. Kritische Grenzparameter wurden dabei nicht erreicht. Nach der Beendigung der Aufgabe, oder wenn ich selbst als Ziel flog und durch den Flugfunk den Leitprozeß verfolgen konnte, gab es auch Zeit den Flug zu genießen. Es war jedesmal beeindruckend, den dunkelblauen bis violetten Himmel über sich zu sehen. Ein schmales weißes Band am Horizont trennte Himmel und Erde. Die höchsten Wolken waren über 10 km unter mir und zwischen den Wolken oder bei wolkenlosem Himmel sah ich eine unendlich große blaßgrüne Fläche. Nur große Seen, Städte, Küstenstreifen oder die Elbe hoben sich von dem Untergrund ab. Manchmal glaubte man den Horizont schon gekrümmt, wie aus dem Weltall, zu sehen. Das war aber eine Täuschung. Wenn die Sonne am Horizont unterging, wirkten die dunkleren Ränder nach unten abfallend und der durch die Sonne noch hell ausgeleuchtete Teil erhob sich, als wollte der Horizont an dieser Stelle der Sonne entgegenkommen. Egal wie schlecht das Wetter gerade unten auf der Erde war, hier oben schien immer eine grelle Sonne aus einem tiefblauen Himmel. Einmal im hohen Überschallbereich angekommen, spürte man nicht, daß man mehr als 40 km pro Minute zurücklegte. Nur die Zeiger der Instrumente verrieten, wie schnell man wirklich flog und nach einem Blick auf die Borduhr wurde auch klar, welche Strecke man bereits zurückgelegt hatte. Die unangenehme Flugausrüstung, den drückenden und kneifenden Druckanzug, die beheizte Scheibe vom Vollhelm vor der Nase nahm man gar nicht wahr. Entweder hatte man sich auf die Einhaltung der notwendigen Flugparameter und auf den Bildschirm des Funkmeßvisiers zu konzentrieren, oder man war vom Anblick des Himmels überwältigt, der sich in seinen kräftigen Farben offenbarte. Es war ein Sommertag im Jahre 1980. Nur wenige Quellwolken verdeckten von Zeit zu Zeit die Sonne über Cottbus. Angesichts dieser Wetterbedingungen entschied der Flugdienstleiter die Durchführung der Gefechtsausbildung nach der 1. von 3 Varianten. In dieser Variante war ich zu einem Gipfelhöhenabfangen geplant. Als mein Ziel flog ein "alter Hase", Oberstleutnant Rissel. Der Flug wurde am Vortag in der Flugvorbereitung detailliert durchgesprochen und Handlungen in möglichen besonderen Fällen, z.B. Triebwerkausfall wurden vorbereitet. Das Flugprofil, die Arbeit mit dem Funkmeßvisier und der Einsatz der leitstrahlgelenkten Rakete RS-2US waren klar. Beim "Geben der letzten Weisungen" am Flugtag wurden die Besonderheiten für den An- und Abflug der Strecken, die meteorologischen Daten für die Streckenberechnung und Informationen zu den Flugsicherungs- und Navigationsmitteln mitgeteilt. Aus der Flugplantabelle entnahm ich die genaue Startzeit, die Flugzeit und Streckennummer. Als ich kurz nach dem "Geben der letzten Weisungen" auf OSL Rissel zuging, war er sehr wortkarg. Er fragte nur, ob bei mir alles klar sei und sagte mir, wann wir zu den Flugzeugen gehen würden. 45 Minuten vor dem Flug zogen wir den Druckanzug an. Dabei half uns ein Feldwebel des Höhentrupps (Trupp für Höhenschutz- und Rettungsausrüstung). Beim Überziehen der Halskrause für den Vollhelm riß es einem fast alle Haare vom Kopf, weil man sich durch deren Gummimanschette zwängen mußte, die den Hals eng umschloß. Nachdem alle Reißverschlüsse geschlossen und die Spannbänder eingehängt waren, konnte die Fliegerkombi oder der Ventilationsanzug über den Druckanzug gezogen werden. Noch die grüne Kopfhaube aufgesetzt, den Vollhelm unter den Arm genommen und wir waren fertig. Im AWZ (Auswertezentrum) wurde noch der PAU-Film (zur Aufzeichnung des Bildschirmes des Funkmeßvisiers) in Empfang genommen und dann ging es los zum Flugzeug. Der Weg zur Vorstartlinie (Abstellfläche für die am Flugbetrieb beteiligten Flugzeuge) war beschwerlich. Der Druckanzug spannte und drückte bei jeder Bewegung, war er doch für die Sitzhaltung optimiert und nicht zum Gehen. Das Anlegen des Anzuges, der Weg zum Flugzeug und der obligatorische Rundgang zur Übernahme der Maschinen brachte jeden zum Schwitzen, auch bei normalen Temperaturen. In der vom Platzangebot nicht üppigen, nun mit Höhenschutzausrüstung erst recht beengten Kabine der MiG-21 begann die nächste Strapaze, nachdem mit Hilfe des Flugzeugtechnikers (1. Flugzeugwart) der Vollhelm aufgesetzt wurde: Das Anschnallen umfaßte das Anlegen des Gurtzeuges, das Anschließen der Funkkabel, der Helmheizung, des Druckanzuges, der Sauerstoffanschlüsse und das Einhängen der NAZ-7 Leine (Verbindungsleine zum Schlauchboot, Notpaket und Notradio). Danach wurde die Funktion der Höhenschutzausrüstung, d.h. das Drucksystem des Anzuges und des Helmes, die Helmventilation und 100% Sauerstoff bei geschlossener Helmscheibe überprüft. Der Pilot selbst konnte das nur "über sich ergehen lassen", denn erst danach begann das Anlassen des Triebwerkes. Von dieser Prozedur war ich, bevor ich den ersten Schalter eingeschaltet hatte, schon durchgeschwitzt. Das Anlassen und Rollen war Routine, abgesehen von der Bewegungs- und Blickfeldeinschränkung in der Kabine durch die Ausrüstung. OSL Rissel - mein Ziel - war inzwischen schon gestartet, als mein Flugzeug noch am TKP (Technischen Kontrollpunkt - "Last Chance") durch die Techniker letztmalig überprüft wurde. Mein Ziel stieg mit Kurs 240 auf 10.600 m. Entsprechend der Methodik (festgelegter Flugablauf) mußte er mit Südwestkurs weiter auf 12-13 km Höhe steigen, mit Nachbrenner auf Mach 1,2 beschleunigen und hinter Leipzig auf Nordostkurs bei weiterer Beschleunigung auf Mach 1,4 - 1,5 kurven. Als mein Ziel hatte er dann - etwa ab Torgau / Wittenberg - in 18 km Höhe mit Mach 1,4 und Nordostkurs zu fliegen. Ich stellte die Kabinenversorgung (vergleichbar Klimaanlage) von Automatik auf kalt, aber erst am Start beim Erhöhen der Drehzahl wurde kalte Luft in die Kabine geblasen und aus den Schläuchen des Ventilationsanzug blies kühle Luft auf den Druckanzug. Die Beschleunigung am Start durch den Nachbrenner und die beginnende Abkühlung war ein angenehmes Gefühl. Ich folgte meinem Ziel auf Südwestkurs und stieg auf 12.500 m Höhe. Durch den Gefechtsstand erhielt ich das Kommando zum Einschalten des Nachbrenners und zum Beschleunigen auf Mach 1,2. Als der Nachbrenner gezündet hatte und die Geschwindigkeit zu steigen begann, nahm ich einen leichten Gleitwinkel ein und sank mit 5-10 m/s. So nutzte ich neben dem Triebwerkschub die Erdbeschleunigung, um schnell und kraftstoffsparend in den "Überschall" zu gelangen und den kritischen Bereich mit dem hohen Widerstandsbeiwert um Mach 1 schnell zu überwinden. Für kurze Zeit verharrte der Machanzeiger kurz vor Mach 1, um dann einen Sprung über Mach 1 zu machen. Durch den Wellenwiderstandsfehler zeigte das Variometer kurzzeitig "steigen" an und der Höhenmesser kletterte um fast 1000 m nach oben. Jetzt im Überschallbereich angekommen, beschleunigte die Maschine immer stärker. Schnell waren M1.2 erreicht. Wenn der Jägerleitoffizier erfahren war und den Punkt zum Einschalten des Nachbrenners exakt bestimmt hatte, konnte man nach Erreichen von Mach 1,2 mit der Kurve nach rechts auf Nordostkurs beginnen, in der Kurve so beschleunigen, daß mit Erreichen der 1,5fachen Schallgeschwindigkeit der befohlene Kurs anlag und man sich 18-20 km genau hinter dem Ziel befand. Die Kurve mit 30-45 Grad Schräglage mußte mit viel Gefühl geflogen werden. War die Schräglage zu gering, beschleunigte die Maschine zu schnell, Kurvenradius und Kurvenzeit wurden zu groß und man kam zu weit und seitlich versetzt hinter dem Ziel raus. Bei zuviel Schräglage war der Luftwiderstand zu groß und man erreichte nicht die geforderte Geschwindigkeit. Notwendige Korrekturen von Leit- oder Steuerfehlern führten zu unnötigem zusätzlichen Kraftstoffverbrauch, der im Extremfall zur Nichterfüllung der Aufgabe führen konnte. Nach dem Ausleiten der Kurve war ich in den erwarteten Parametern hinter dem Ziel in ca. 13 km Höhe. Schnell beschleunigte die Maschine. Wie immer kontrollierte ich in Abständen die Triebwerksparameter und die Stellung des Konus, der langsam und kontinuierlich ausfuhr. Bei Erreichen von M 1,8 hatte ich mich auf 10-12 km an das Ziel angenähert. Das war der richtige Zeitpunkt, um zum Ziel, das wie abgesprochen in 18 km Höhe flog, hochzuziehen. Ich zog die Nase der MiG hoch und ging in den Steigflug über, mit der Erwartung, endlich das Ziel auf den Bildschirm des Funkmeßvisiers zu finden. Aber der Bildschirm blieb dunkel. Ich sah kein Zielzeichen! In 15 km Höhe hatte ich sonst schon Abschußbedingungen für die Raketen. Aber jetzt sah ich einen leeren Bildschirm. Ich kontrollierte nochmals die Schalter des Funkmeßvisiers und den Magnetronstrom. Alles war korrekt. Der Leitoffizier meldete von der Bodenfunkmeßstation angezeigte "Entfernung zum Ziel 7 km", kurze Zeit später "5 km". Ich wurde unruhig. Noch nie war ich in solch einer Situation beim Gipfelhöhenabfangen. Noch nie hatte ich ein derartiges Abfangen "verrissen". Mir wurde klar, viel Reaktionszeit blieb mir nicht mehr, wenn ich das Ziel doch noch entdecken sollte. Plötzlich schaute ich auf den Höhenmesser und erschrak. Ich war in 19 km Höhe und immer noch im Steigflug, schon 1000 m über dem Ziel. Mir war klar, daß ich da etwas falsch gemacht hatte. Aber was? Das Antennendiagramm des Funkmeßvisiers der MiG-21SPS ist flugzeugachsenfest. Weil ich unkontrolliert einen zu hohen Steigwinkel gewählt hatte, war die Antenne steil hinter - aber nie auf - das Ziel gerichtet gewesen! Ich drückte die Maschine an, in der Hoffnung, das Ziel noch auf den Bildschirm zu bekommen. Da sah ich die silberne MiG visuell, legte das PKI (Fadenkreuz des optischen Visiers) auf das Ziel und schaltete das Funkmeßvisier auf Kennungsabfrage, blickte kurz auf den Bildschirm und sah das Zielzeichen, erkannte die Erfassungsbedingungen und drückte auf den Zielerfassungsknopf. Das Funkmeßvisier schaltete sofort auf Zielerfassung um. Die Abschußbedingungen für die RS-2US lagen an. Alle notwendigen Schalter zur Simulation des Abschusses der Rakete waren eingeschaltet. Inzwischen war ich auf gleicher Höhe zum Ziel und nahe der minimalen Schußentfernung, für einen realen Abschuß optimal! Ich drückte auf den Kampfknopf (Trigger), um die Rakete abzuschießen. Ich mußte ihn etwa 12,5 Sekunden halten bis die leitstrahlgelenkte Rakete im Ziel war. Nur mit gedrücktem Kampfknopf läuft die Schießkamera im Kinobetrieb und zeichnet den (simulierten) Abschuß vollständig auf. Da verspürte ich ein starkes Schütteln und Vibrieren meines Flugzeuges. Es wurde fast unmöglich, das Zielzeichen die "unendlich langen" 12,5 Sekunden im 17,5 Tausendstelkreis (der Kreis begrenzte den maximal möglichen Zielfehler) zu halten. Doch war es mir gelungen und noch vor der minimalen Schußentfernung konnte ich auf den vom Gefechtsstand befohlenen Kurs abkurven und den Nachbrenner ausschalten. Dabei stellte ich fest, daß die Triebwerkdrehzahl nur 78% statt 100% war. Egal wohin ich den Drosselhebel bewegte, die Drehzahl blieb bei 78%. Ich kurvte auf den befohlenen Kurs 30 Grad, ging in den Gleitflug mit Mach 1,6 und meldete dem Gefechtsstand betont ruhig das Ende des Angriffs. Mir wurde klar, daß das Schütteln durch den Flug in der Wirbelschleppe des Zieles verursacht wurde und dies hatte zum Flammenabriß in der Brennkammer und zum Ausfall meines (einzigen) Triebwerkes geführt. Die Abgastemperatur stand auf "Null". Der Drehzahlmesser bewies die durch die anströmende Luft hervorgerufene Autorotation. Nach einem Blick auf den Schalter des Flugdatenschreibers, da stand "717", war mir klar, der Triebwerkausfall ist routinemäßig nicht nachweisbar. Denn ich flog in einer Maschine, die noch nicht auf "SARPP" umgerüstet war. (Der Schalter "717" kennzeichnet den barometrischen Schreiber, bei dem nur Höhe und Geschwindigkeit aufgezeichnet wurden, keine Triebwerkdrehzahl. Beim SARPP dagegen wäre das der Fall, registrierte der doch 12 Parameter.) Eigentlich mußte ich dem Gefechtsstand Meldung machen, aber wozu? Der Leitoffizier konnte mir nicht helfen. Ich dachte, nur Ruhe bewahren und meldete dem Gefechtsstand den neuen Kurs. Ich hatte über 750 Stunden in der Kabine einer MiG-21 verbracht und fühlte mich jetzt auch in dieser Situation in der Kabine geborgen und sicher. Ich dachte mir, ich bin noch so hoch und schnell, da kann ich das Triebwerk noch mehrmals anlassen und wenn es nicht anläuft, kann ich dem Gefechtsstand immer noch Meldung machen und katapultieren. Mit stehendem Triebwerk und konstant M 1,5 verringerte ich die Höhe auf 11 km und nahm die Maschine an den Horizont. Ohne Triebwerkschub war ich schnell im Unterschallbereich und der Höhenmesser drehte auf 10 km. Den Drosselhebel hatte ich inzwischen auf "STOP" gestellt, eine Voraussetzung zum Anlassen des Triebwerkes. Das Bewegen des Drosselhebels auf "STOP" fiel mir besonders schwer, denn dann war das Triebwerk sicher abgestellt. Aber um eine stabile Arbeit des Triebwerkes wieder herzustellen, blieb mir keine andere Wahl, ich mußte "in der Luft anlassen", dazu war der Drosselhebel auf STOP zu stellen. Das hatte ich gerade eine Woche zuvor auf dem Flugsimulator geübt und fühlte mich sicher. Ich war in 9.600 m Höhe, kontrollierte 600 km/h Gerätegeschwindigkeit und schaltete den Schalter "Anlassen in der Luft" ein. Dazu mußte ich jedoch erst den dünnen Konterdraht am Schalter aufreißen. Die grüne Lampe "Zündung" leuchtete auf, und nach 1-2 Sekunden gab ich den Drosselhebel von "STOP" auf "LEERLAUF". Ich sah nur das Ansteigen der Abgastemperatur, deshalb schob ich den Drosselhebel langsam auf "MAXIMAL". Als ich das Ansteigen der Drehzahl auf 100% sah und die Beschleunigung spürte, war ich beruhigt und schaltete den Schalter "Anlassen in der Luft" aus. Das war in 9.400 m Höhe, mein Triebwerk arbeitete wieder stabil. Ich stieg auf 10.650 m und flog im Standardverfahren, als gäbe es keine Besonderheiten, zur Landung nach Cottbus. Nach dem Abstellen des Triebwerkes bemängelte ich beim Flugzeugtechniker den gerissenen Konterdraht am Schalter "Anlassen in der Luft" (bestimmte Schalter waren extra mit dünnem Kupferdraht gesichert) und meinte, solch ein Flugzeug würde ich in Zukunft nicht mehr übernehmen. Bei der Flugauswertung sagte Oberstleutnant Rissel nur: "Junge, du mußt auch mal rausgucken. Wir hatten Kondensstreifen, da hättest du mich viel früher gesehen". Er hatte nur soweit recht, daß nur ich in 18 km einen "Kondensstreifen" hatte. Der begann schon in der Brennkammer und war der verdampfte Kraftstoff. In Höhen über 13-14 km gibt es für gewöhnlich keine Kondensstreifen mehr und diese beginnen 20-50 m hinter dem Triebwerk und nicht im Triebwerk. Die Schießfilmauswertung bestätigte einen Abschuß nach der Note "sehr gut" und die Routineauswertung des Flugdatenschreibers zeigte "keine Auffälligkeiten". Damit schien der Flug und der Triebwerkausfall eine Erfahrung (Ansatz zu einem Flugvorkommnis (höchster) Kategorie I) gewesen zu sein, von der nur ich etwas wußte. Über 10 Jahre waren vergangen und ich wurde inzwischen in das JG-3 nach Preschen versetzt. Bei einer Geschwaderfeier kam Major Posseldt, unser Waffenoffizier, zu mir und fragte mich plötzlich: "Sag mal, du hast doch mal ein Triebwerk in der Luft angelassen?" Ich fragte zurück: "Woher weißt du das? Ich hatte noch niemandem davon erzählt." Er antwortete: "Ich war damals in Cottbus dein Flugzeugtechniker und mußte nach einem Flug von dir den Schalter "Anlassen in der Luft" verkontern und Triebwerksauerstoff, der nur beim Anlassen in der Luft verbrannt wird, auffüllen." (Major Posseldt hatte inzwischen in Moskau studiert und wurde als Oberoffizier für Flugzeugbewaffnung im Stab des JG-3 eingesetzt). Da war mir alles klar. Ich fragte: "Warum hast du mich damals nicht verpfiffen?" Er antwortete: "Warum sollte ich? Du hast doch auch das Flugzeug nicht beanstandet." Das stimmte, die Maschine, das Funkmeßvisier und das Anlaßsystem funktionierten tadellos. Dem technischen Bodenpersonal blieben viele Stunden unnützer Arbeit erspart, weil alles so ablief, wie es die Flugzeugsysteme vorsahen. Seitdem ist mir nie wieder ein Triebwerk ausgefallen und Major Posseldt behielt unser Geheimnis bis heute für sich.
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