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Startseite >> Publikationen >> Bulgariens Luftwaffe im Umbruch

erschienen in FLiEGERREVUE 07/2006


 
Nach 1990 waren die bulgarischen Luftstreitkräfte mit vielfältigen Umstrukturierungen und massiven Einschnitten bei Flottenstärke und Typenspektrum konfrontiert. Erst Ende der 90er-Jahre begann im Hinblick auf die angestrebte NATO-Mitgliedschaft eine Konsolidierung auf niedrigem Niveau.
 
 

Der bewaffnete Posten am Eingang des DHS-Gebäudes und das Wandmosaik mit Motiven aus sozialistischen Zeiten bilden einen reizvollen Kontrast sowohl zu den ehemals deutschen Anlagen als auch zu den Flugbetriebsflächen, die seit 2001 kontinuierlich westlichen Standards angeglichen wurden. Oberst Radew, der als einziger Pilot der Basis sowohl die MiG-21 als auch die MiG-29 fliegt, entscheidet sich nach Auswertung des Wetterfluges für die Flugplanvariante zwei. Demzufolge werden an diesem Tag zwei Flugschichten mit fünf MiG-21bis und drei MiG-21UM durchgeführt. Allein beim ersten Durchgang starten die Maschinen 21 mal zu Flügen zwischen 300 bis 6000 Metern und bleiben dabei mehr als elf Stunden in der Luft. Paarstarts und -landungen trotz starkem Seitenwind sowie eine komplette Nachtschicht zeugen von soliden jährlichen Flugstundenzahlen, die zumindest von ausgewählten Piloten erreicht werden. Jeweils vier Flugzeugführer der MiG-21 und der MiG-29, die für die Teilnahme an NATO-Übungen vorgesehen sind, bringen es damit auf 80 bis 100 Stunden pro Jahr. Jüngere Piloten dürfen jährlich rund 50 bis 60 Stunden erreichen, während sich erfahrene Instrukteure mit 25
  Die beiden Luft-Luft-Raketen über dem Torbogen
kündigen weithin den Haupteingang eines militärischen Flugplatzes an. Wir befinden uns am Eingang der 3. Awio-Basa (AB) Graf Ignatiewo" nördlich von Plowdiw. Der Blick gleitet über gelb-schwarz markierte Panzersperren hindurch auf eine Marmortafel mit dem Wappen der Einheit. Flankiert von den Flaggen Bulgariens, der bulgarischen Luftstreitkräfte und der NATO führt der Weg weiter an der Wohnzone entlang in die Garnison. Auf dem gepflegten Rasen sind ausgediente Flugzeuge von Jak-23 bis hin zur MiG-23 aufgereiht. Gedenksteine und Ehrenhaine verweisen auf die wechselvolle Geschichte der Basis ebenso wie das liebevoll umgestaltete Museum, das weit über den Rahmen der üblichen Traditionszimmer hinausgeht. Trotz neu gestalteter Fassaden fällt dem aufmerksamen Beobachter die für die Region untypische Architektur der zweistöckigen Gebäude auf. Die mit Muschelkalk eingefasste Jahreszahl 1940 im Treppenabsatz des Stabsgebäudes bestätigt die Vermutung: Die Basis war bis 1944 ein Fliegerhorst der deutschen Luftwaffe.
 
    Mehrere der bekannten Flugzeughallen mit der eisernen Fachwerkkonstruktion säumen den Flugfeldrand und dienen heute laufenden Wartungs- und Reparaturarbeiten an MiG-21 und MiG-29. Dabei bilden erstere im Moment den Schwerpunkt, da die MiG-29 auf die dringend benötigte Grundüberholung warten und seit Dezember nicht mehr geflogen sind. Der Beginn der Arbeiten, die bei TEREM von russischen Werksvertretern durchgeführt werden, ist für Mai geplant.
    Mehr als 60 Jahre nach ihrer Gründung ist die Basis wichtiger als je zuvor. Schließlich sind in Graf Ignatiewo die einzigen rund um die Uhr einsatzbereiten Kampfflugzeuge Bulgariens stationiert. Aus seinem Büro in der obersten Etage der alten Flugleitstelle verweist Kommandeur Oberst Rumen Radew auf das Diensthabende System (DHS), das in Sichtweite von drei mit R-60-Raketen bewaffneten MiG-21bis sichergestellt wird. Das Unterkunfts- und Dienstgebäude, die Kommunikationsanlagen und der Fahrzeugpark sind mit Maschendrahtzaun, Übersteigschutz und Stacheldrahtrollen gesichert.
 

 


 
bis 35 Flugstunden zur Erhaltung ihrer Lizenzen begnügen müssen. Allen gemeinsam ist die Hoffnung auf die baldige Einführung eines neuen Kampfflugzeugs und damit auf eine gesicherte Zukunft für die traditionsreiche Basis.


    Noch bevor Bulgarien seine frühzeitige Orientierung zur NATO mit dem Beitritt zum Partnership-for-Peace-Programm im Jahre 1994 manifestierte, begann die Reformation der Luftstreitkräfte (BWWS, Bulgarskij Wojenno-Wosduschnij Sili). Schon 1993 wurde das 25. Jagdbombenfliegerregiment in Tscheschnegirowo bei Plowdiw in eine integrierte Fliegerbasis nach westlichem Modell umgestaltet. Gleichzeitig bemühte sich der Balkanstaat mit zahlreichen Beteiligungen an den Manövern der Cooperative-Reihe um eine Annährung an westliche Prozeduren und Verfahren. Die Übungen Cooperative Key der Jahre 2001, 2003 und 2005 (siehe FLiEGERREVUE 12/2005) fanden in Bulgarien statt. Zwischen 1998 und 2002 erfolgte die komplette Umstrukturierung der BWWS in eine Teilstreitkraft nach westlichem Vorbild. Kernstück bildete die Konzentration der aktiven Verbände auf nur noch vier Fliegerbasen (Awio-Basa, AB) und die Auflösung aller anderen Einheiten. 1998 endete der Flugbetrieb in Gabrowniza (2. AB mit MiG-23) und Baltschik (6. AB mit MiG-21) sowie bei der 4. Jagdbombenfliegerbasis in Usundschowo (MiG-21). 2000 folgte Rawnez (5. Jagdflieger- basis mit MiG-29), 2001 Dobritsch (26. Aufklärungs- fliegerbasis mit Su-22), 2002 Dobroslawzi (1. Jagdfliegerbasis mit MiG-23) und Tscheschnegirowo (25. Jagdbombenfliegerbasis mit MiG-23BN). Übrig blieben die
  3. Jagdfliegerbasis in Graf Ignatiewo mit MiG-21 und MiG-29 sowie die 22. Schlachtflieger- basis in Besmer mit Su-22 (bis 2004) und Su-25. Ein ähnlicher Konzentrationsprozess fand bei den Trainingsbasen statt, wo nach der Schließung von Stryklewo (11. Ausbildungs- fliegerbasis) und Dolna Metropolja nur noch die 12. Ausbildungsfliegerbasis in Kamenez (L-39 und PC-9) aktiv ist. Die Transportflieger mit An-24, An-26, An-30, L-410 und Tu-134 agieren weiterhin von Sofia-Wrashdebna (16. Transport- fliegerbasis) aus, während alle Hubschrauber der Typen Mi-8 MT/PP, Mi-24 D/W und Bell 206 nach der Schließung von Stara Zagora (22. Kampfhub- schrauberbasis) auf der 24. Hubschrauberbasis in Krumowo zusammengezogen wurden. Zwischenzeitlich wurden auch die letzten dort betriebenen Mi-2 und Mi-8T ebenso stillgelegt wie die einzige An-2 des Luftverteidigungskorps in Graf Ignatiewo. Einher mit der Reduzierung der Basen und der Flugzeuge auf jeweils rund 30 Prozent des ursprünglichen Bestands gingen Einschnitte in gleicher Höhe beim Personalbestand.
    Die Jagdflieger in Graf Ignatiewo unterstehen heute dem 1996 geschaffenen Luftverteidigungskorps. Diesem ebenfalls unterstellt sind drei Fla-Raketenbrigaden in Boshurischtsche, Plowdiw und Burgas, ausgerüstet mit Komplexen der Typen S-75, S-125, S-200 und S-300PMU. Weiterhin gehören zur Luftverteidigung die Funktechnischen Brigade in Boshurischtsche und das Funktechnische Regiment in Jambol, die über Stationen P-14/18/37, PRW-13/17 und ST-68U verfügen. Schlachtflieger, Hubschrauber und
 

Transportflieger sind dem taktischen Fliegerkorps unterstellt. Exot unter den Stützpunkten ist die unabhängige Marinefliegerbasis in Tschaika bei Warna mit Hubschraubern des Typs Mi-14.

    In der Zukunft setzt Bulgarien ausschließlich auf westliche Ausrüstung. Erster Schritt in diese Richtung stellte 1999 die Beschaffung von sechs Trainings- und Verbindungshubschraubern Bell 206 dar. Diesen folgten 2004 sechs Trainer Pilatus PC-9M für die Anfänger- und Fortgeschrittenenausbildung. Anfang 2005 fiel die Entscheidung zur Beschaffung von zwölf Hubschraubern AS532 Cougar, die die gleiche Anzahl Mi-8MT ablösen sollen. Acht Cougar werden in der Transportkonfiguration geliefert, die restlichen vier in der CSAR-(Combat Search And Rescue) Variante. Ebenfalls Teil des Vertrags sind sechs Marinehubschrauber AS565 Panther als Nachfolger für die Mi-14. Die jüngste Beschaffungsentscheidung betraf acht Transportflugzeuge LMATTS (Lockheed Martin Alenia Tactical Transport Systems) C-27J Spartan als Ersatz für die An-26. Ihre Hauptaufgabe wird in der Sicherstellung des Nachschubs für die bulgarischen Kontingente im Irak und in Afghanistan liegen. Laut dem im Februar 2006 geschlossenen Vertrag mit Alenia Aerospace soll zwischen 2007 und 2011 jährlich eine C-27 geliefert werden. Ursprünglich war eine deutlich höhere Zahl geplant, die allgegenwärtigen Budgetprobleme erzwangen jedoch eine Reduzierung der Planung. Der Geldmangel war auch der Grund, warum im Oktober 2005 die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge auf


 

unbestimmte Zeit verschoben wurde. Zuvor hatte der bulgarische Verteidigungsminister eine offizielle Anfrage bezüglich der Beschaffung von 14 F/A-18E und zwei F/A-18F Super Hornet an die US-Regierung gerichtet. Dieses Muster wird von den BWWS favorisiert, wenngleich auch die gebrauchte F/A-18 der Versionen A/B/C/D, JAS-39 Gripen und die F-16C/D Block 52+ mögliche Kandidaten sind. Angebote seitens Belgiens und der Niederlande zur Lieferung von gebrauchten F-16 A/B fanden hingegen auf bulgarischer Seite kein Interesse. Bis zur Verfügbarkeit eines Nachfolgemusters wird die MiG-29 das modernste Kampfflugzeug im bulgarischen Inventar bleiben. Nachdem ein 2001 begonnenes Modernisierungsprogramm zur Herstellung einer begrenzten NATO/ICAO-Kompatibilität nach bulgarischen Angaben an der fehlenden Vertragstreue des Hauptauftragnehmers RSK MiG scheiterte, wurde mit dem gleichen Anbieter im August 2005 ein Vertrag geschlossen, der lediglich die Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Maschinen beinhaltet. Die Überholung von 14 der 21 MiG-29 kostet rund 45 Mill. US-Dollar. Dabei wird die Lebensdauer um rund 800 Stunden erweitert, Änderungen an den Systemen erfolgen jedoch nicht. Damit sind weiterhin die sechs noch einsatzfähigen Su-25 die einzigen Kampfflugzeuge im bulgarischen Bestand, die für die Teilnahme an Manövern im Ausland geeignet sind. Nach der aktuellen Planung sollen die Maschinen bis 2010 im Dienst bleiben.
    Im Dezember 2005 unterzeichneten Bulgarien und die israelische Firma Elbit Systems einen Vertrag über die Modernisierung von sechs Mi-8MT und zwölf Mi-24. Neben der
 

Ausrüstung mit modernen Systemen beinhaltet der Vertrag über mehr als 57 Mill. Euro eine Lebensdauerverlängerung der Hubschrauber um 15 Jahre. Als Unterauftragnehmer agieren dabei die Werke Letez Sofia und Georgi Benkowski Plowdiw der bulgarischen Staatsfirma TEREM. Letez hat im Rahmen des südafrikanisch-französisch -bulgarischen ATL-Konsortiums bereits Modernisierungs- erfahrungen im Rahmen des Sova-Projekts, eines mit südafrikanischer Avionik und Bewaffnung ausgerüsteten Mi-24, gesammelt.

Bereits vor seinem Beitritt zur NATO orientierte sich Bulgarien stark in Richtung USA, ein Trend, der sich seit der Mitgliedschaft verstärkt hat. Bulgarische Truppen sind an der Seite der Amerikaner sowohl im Irak als auch in Afghanistan im Einsatz. Am 30. April 2006 unterzeichneten die Außenminister beider Länder, Condoleezza Rice und Iwajlo Kalfin, in Sofia ein Abkommen über die Errichtung US-amerikanischer Basen in Bulgarien, nachdem die bulgarische Regierung der Stationierung bereits 2003 prinzipiell zugestimmt hatte. Ab 2007 sollen rund 3500 amerikanische Soldaten im Land stationiert werden. Zu Beginn
  der Verhandlungen vereinbarten beide Seiten, dass es den USA nicht erlaubt sei, von den bulgarischen Basen aus andere Länder ohne Zustimmung des Gastgebers anzugreifen. Wie weit das allerdings von Bulgarien zu kontrollieren oder gar zu verhindern wäre, sei dahingestellt. Alle Basen sollen als bi-nationale Einrichtungen unter bulgarischem Kommando betrieben werden. Neben dem Truppenübungsplatz Nowo Selo werden die Schlachtfliegerbasis Besmer und der Jagdfliegerplatz Graf Ignatiewo zu diesen Standorten gehören. Während Besmer vor allem wegen der Nähe zum Hafen Burgas - der den Amerikanern für Truppentransporte zu Verfügung steht - und zur türkischen Grenze ausgewählt wurde, gaben bei Graf Ignatiewo die gut ausgebaute Infrastruktur und die Nähe zum internationalen Flughafen Plowdiw mit seinen Landemöglichkeiten für Tanker und Transporter den Ausschlag. In Bulgarien haben die amerikanischen Stationierungspläne heftige innenpolitische Diskussionen ausgelöst. Während die künftigen Garnisonsorte vor allem auf wirtschaftliche Impulse, erhöhte Kaufkraft und neue Arbeitsplätze hoffen, fürchten andere den Verlust von Souveränität, eine erhöhte Gefahr von Terroranschlägen oder Gesundheitsrisiken, die beispielsweise von Uranmunition ausgehen. Es darf jedoch als sicher gelten, dass die zu erwartenden ökonomischen und politischen Vorteile den Ausschlag für eine Zustimmung der bulgarischen Seite geben werden. Von den damit verbundenen Finanztransfers wird nicht zuletzt das bulgarische Militär profitieren. Mit Super Hornets ausgerüstete bulgarische Luftstreitkräfte sind dann eine gar nicht so unwahrscheinliche Zukunftsvision.
Holger Müller, Stefan Büttner