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5. März 2025, 9 Uhr. Die Sonne strahlt über der Fliegerbasis Pleso am Rande der kroatischen Hauptstand Zagreb als wüßte sie um das Besondere dieses Moments, auf den ich tatsächlich fast 23 Jahre gewartet habe. So lange ist es nämlich her, daß ich zum ersten und einzigen Mal die Genehmigung erhalten hatte, die wichtigste Basis der kroatischen Luftstreitkräfte (Hrvatsko ratno zrakoplovstvo - HRZ) zu besuchen. In den Jahren danach waren alle Anfragen vergeblich und nur 2011 bot ein Tag der offenen Tür Gelegenheit zu einem beschränkten Einblick. Der heutige Besuch ist aber nicht nur wegen der langen Wartezeit ein besonderer - es ist ein Abschied, nicht nur von den kroatischen MiG-21, sondern von den MiG-21 in Europa insgesamt. Kroatiens beschränkt modernisierte und generalüberholte MiG-21 der Versionen bisD und UMD waren die letzten, die in Europa noch flogen. Seit dem 19. Dezember des letzten Jahres ist es auch damit vorbei. Ich war - unwissentlich - beim vorletzten Flug dabei, als Zaungast, wie so oft in den vergangenen Jahren am internationalen Flughafen von Zagreb, mit dem sich die Basis die Infrastruktur teilt. Heute soll aber nochmals Gelegenheit sein, die MiG-21 hautnah zu erleben, wenngleich wohl nur noch im Stand. Wir - das sind neben mir der deutsche Militärattaché in Zagreb, Oberstleutnant i.G. Burkhard Weber und seine Büroleiterin Hauptfeldwebel Diana Gramlich - werden bereits von unseren kroatischen Gastgebern, der Presseoffizierin der kroatischen Luftwaffe, Major Antonija Trupinić und dem Kommandeur der 191. Eskadrila Lovačkih Aviona (ELA), Oberstleutnant Zvonimir Milatović, erwartet. Der Vermittlung meiner beiden Begleiter in der Uniform der Bundeswehr habe ich es zu verdanken, daß der Besuch nach Dutzenden von vergeblichen Anläufen im Laufe der Jahre doch noch zustande gekommen ist. Daß die beiden heute mit von der Partie sind, um den Kontakt zur kroatischen Seite zu pflegen und - speziell im Falle von Frau Gramlich, als früherer Wart an Phantom und Eurofighter - Kerosinluft zu schnuppern, gibt mir die Gelegenheit, ihnen für die durchaus nicht selbstverständliche Unterstützung zu danken. Unser Besuch beginnt mit einem lockeren Gespräch im Aufenthaltsraum des neugebauten Personalgebäudes des Staffel. Und nicht nur dieses Gebäude ist neu, sondern alles was an Wartungsgebäuden und Flugzeugunterständen in der Nachbarschaft steht, auch. Rafale-City wird der Komplex genannt, entstanden in Vorbereitung der Umrüstung der kroatischen Kampfflugzeugflotte auf das französische Mehrzweckflugzeug, von dem bereits 10 der insgesamt 12 bestellten Exemplare im Lande sind. Im Aufenthaltsraum dominiert aber noch die ära der MiG-21. Deren doppelläufige Bordkanone GSch-23 hängt ebenso an der Wand wie die Luftkampfrakete R-60, mit der die kroatischen MiG-21bisD im diensthabenden System bis zuletzt bewaffnet waren. Das typische schrille Pfeifen der Rafale-Triebwerke unterbricht unser Gespräch und mahnt zum Aufbruch. Anders als die MiG-21 fliegen die Rafale auch heute und natürlich wollen wir beim Start dabei sein. Drei Maschinen - ein Doppel- und zwei Einsitzer - stehen mit laufenden Triebwerken in Ihren Unterständen und führen gerade ihre Vorflugkontrollen durch, beobachtet sowohl vom kroatischen Bodenpersonal als auch von zahlreichen französischen Spezialisten, die im Rahmen der Werksbetreuung vor Ort sind. Für den, der die MiG-21 kennt, dauert der ganze Prozeß unglaublich lange, aber das Hochfahren der Systeme eines komplexen Flugzeugs der vierten Generation erfordert eben viel mehr Zeit, als das simple Einschalten der Geräte eines Jägers, der in den 50er Jahren entworfen wurde. Während wir auf das Herausrollen der Rafale warten, schwenken mein Blick und mein Kameraobjektiv immer wieder zur Vorstartlinie, denn dort stehen drei MiG-21 im Sonnenschein: die graue 116 mit der großen 25 am Seitenleitwerk, die auch den letzten Flug im Dezember absolviert hat, die rot-weiße 165 in den kroatischen Nationalfarben alias 'Kockica' und die silberne 26112 mit jugoslawischen Hoheitskennzeichen, mit der der erste Kommandeur der kroatischen Luftwaffe, Rudolf Perešin, 1991 nach Österreich flüchtete. Dann rollen die Rafale endlich los und wir begeben uns zu den MiG-21, wo sich schon einige Techniker versammelt haben. Nach meinen Wünschen bezüglich des Programms befragt, bitte ich darum, eine komplette Flugvorbereitung sehen und fotografieren zu können - etwas, das ich in Kroatien zum letzten Mal beim erwähnten Tag der offenen Tür 2011 gesehen hatte. Oberstleutnant Milatović bietet an, die Maschine danach auch anzulassen und ein Stück zu rollen. Nur starten dürfe er nicht mehr. Das Angebot nehme ich begeistert an, komme ich doch damit genau zu den Bildern, die mir in den letzten Jahren immer versagt blieben. Und gleich noch einen Wunsch äußere ich: die 118, die ich in einem der Flugzeugunterstände gesehen hatte und die aus Anlaß des 30. Gründungsjubiläums der HRZ eine große 30 auf dem Seitenleitwerk erhielt, möchte ich gern von der linken Seiten fotografieren, weil nur dort diese Markierung angebracht wurde, ich die Maschine aber seitdem nur von rechts fotografiert hatte. Auch das sei kein Problem, wird mir beschieden. Und während ich eigentlich erwartet hatte, später zum Standort der Maschine zu laufen, wird sie kurzerhand neben die anderen geschleppt. Jetzt ist aber erst einmal Zeit für Fotos vom technischen Dienst und für Detailaufnahmen. Die 116, das Flugzeug von dem ich in all den Jahren meiner Beschäftigung mit der MiG-21 die meisten Bilder gemacht habe, präsentiert sich in sichtbar gutem Zustand, zeigt aber auch Spuren intensiver Nutzung. Unter dem Rumpf der Maschine hängt ein Zusatzbehälter, den Piloten und Techniker der 191. ELA beim Staffeljubiläum im Januar 2024 signiert hatten und der seitdem bei allen letzten Flügen sowohl der einzelnen Maschinen als auch der Flugzeugführer mitgeführt wurde. Natürlich nutze ich die Gelegenheit, mich in die Kabine zu setzen. Wer weiß, ob es dazu jemals wieder eine Gelegenheit gibt? Nach ein paar Bildern der 'Kockica', die schon länger nicht mehr geflogen ist und offensichtlich als Ersatzteilspender herhalten mußte, zieht es mich zur 26112, die ich bei der Airshow AirVG im letzten Jahr zum ersten Mal gesehen hatte und die äußerlich so wirkt, als wäre sie gerade in Klagenfurt gelandet. Als ich dann auch noch in die Kabine schauen darf, geht mir das Wort "Zeitkapsel" durch den Kopf. Alles ist noch genau so wie vor 34 Jahren. Keine nachträglichen Einbauten verwässern das Bild der klassischen MiG-21. Hinzu kommt, daß es sich auch bei der Version um eine echte Rarität handelt, nämlich um die Aufklärerversion MiG-21R. Die gab es bei der NVA gar nicht und alle anderen Nutzerländer hatten maximal ein Regiment, oft nur eine Staffel davon, so auch die Jugoslawen, deren 352. iae (izvidjacka avijacijska eskadrila – Aufklärungsfliegerstaffel) in den unterirdischen Anlagen von Željava bei Bihać stationiert war. Produziert ab 1966 unterscheidet sich die MiG-21 gerade in der Gestaltung der Kabine deutlich von der später entwickelten MiG-21bis. Zwischenzeitlich ist die 118 an der Vorstartlinie angekommen und nachdem ich die geflügelte 30 aus allen Winkeln fotografiert habe, rollt auch schon das Anlaßaggregat für den "Start" der 116 heran, ein sowjetisches APA-5 auf einem Ural-Lkw. Oberstleutnant Milatović hat zwischenzeitlich seine komplette Ausrüstung - Helm, Maske, Schwimmweste und Druckhose - geholt, so daß es äußerlich keinen Unterschied zu einem realen Start geben wird. Und er läßt es sich auch nicht nehmen, einen kompletten und sehr detaillierten Rundgang um seine Maschine zu machen. Er legt seine Ausrüstung an, steigt in die Kabine und dann signalisiert der Techniker: anlassen! Der Motor des Anlaßaggregats rumpelt los und kurze Zeit später dreht auch das Triebwerk der 116 hoch. Das Außenbordkabel wird entfernt und die Funktionsprüfungen beginnen. Die Landeklappen werden auf 25 und 45 Grad gestellt, die Funktion des Systems zum Anblasen der Klappen wird geprüft und nachdem der Mechaniker an der Tragfläche sein Ok signalisiert hat, schließt und verriegelt der Techniker das Dach. Leiter, Startklappen und Vorlegekeile werden entfernt. Der Techniker gibt das Signal zum Losrollen, Oberstleutnant Milatović löst die Bremsen und die 116 rollt zum Start. Oder zumindest sieht es so aus, bis sie am Ende der Vorstartlinie einkurvt und hinter den anderen MiGs zurück an ihren Standplatz rollt. Zwei weitere Runden dreht die Maschine noch, bis ich signalisiere, daß ich genug Bilder im Kasten habe. Vor allem die Aufnahmen mit dem für Pleso typischen Erdwall im Hintergrund wollte ich immer haben - jetzt sind sie mir endlich gelungen. Der Techniker gibt das Signal zum Anhalten und Oberstleutnant Milatović bringt die Maschine an ihrem Standplatz zum Stehen. Zuvor hat er schon beim Rollen das Kabinendach geöffnet. Ganz sicher ist es heiß in der Kabine, denn die Sonne steht jetzt im Zenit und die Klimatisierung arbeitet erst bei Triebwerksdrehzahlen ab 50%, die beim Rollen nicht erreicht werden. Komfort stand im sowjetischen Flugzeugbau nie im Vordergrund. Auch nach dem Flug gibt es keine Abweichung vom Procedere. Die Leiter wird ans Flugzeug gestellt, Startsiebe und Vorlegekeile kommen an die vorgesehen Positionen. Pilot und Techniker machen ihre Einträge im Bordbuch. Alle Beteiligten haben Spaß daran, die gewohnten Arbeitsgänge zu absolvieren und hätten doch viel mehr Freude, wenn die MiG-21 auch wirklich fliegen würde. Bis Ende April sind die Borddokumente laut Aussage der Techniker noch gültig, wäre also ein Flug noch möglich. Dem entgegen steht aber die offizielle Entscheidung über das Ende des Flugbetriebs. Meinen Einwand, daß es sich bei der Verlängerung der Betriebserlaubnis doch nur um einen Verwaltungsakt handelt und daß die Maschinen auch noch viel länger fliegen könnten, quittieren die Techniker mit einem gequälten Gesichtsausdruck. Der fällt noch leidender aus, als ich ergänze, daß meine Erwartung und die meiner kroatischen Freunde ist, daß die MiG-21 zum 30. Jahrestag des Sieges im Heimatkrieg im August auch noch fliegt. Nach dem Action-Teil soll auch mein dritter Wunsch erfüllt werden - Bilder von allen noch vorhandenen Maschinen zu machen, vor allem aber von der 134, die ich nie fotografiert habe, weil sie wegen Unstimmigkeiten in den ukrainischen Borddokumenten nur kurze Zeit flog. Wobei das nicht ganz richtig ist. Ursprünglich für Jemen bestimmt, habe ich sie als 2235 im Jahre 2009 in Odessa abgelichtet. Da war sie aber noch gelb-braun, jetzt ist sie grau, wie die anderen kroatischen MiGs. Zusammen mit ihren Schwestermaschinen ist sie im alten Hangar aus jugoslawischen Zeiten abgestellt. Dort stehen auch ein Löschflugzeug Canadair CL-415 und zwei Hubschrauber Mi-171, die für die Wartung von ihrer einige Kilometer entfernten Heimatbasis Lučko hierher überflogen wurden. Bevor ich in den Tiefen des Hangars verschwinde, ist es Zeit, mich von meinen Begleitern aus dem deutschen Militärattachéstab zu verabschieden, auf die bereits ein weiterer Termin wartet, und Ihnen nochmals für ihre Unterstützung zu danken, die ausschlaggebend für den Erfolg des heutigen Tages war. Zu meiner überraschung befindet sich mit der 122 im Hangar auch noch eine der MiG-21bisD mit der grün-grauen Bemalung von der überholung bei Aerostar Bacău. Tragflächen und Höhenleitwerk sind demontiert. Komplett sind hingegen die aus der Ukraine gelieferten Einsitzer 131, 132 und 133, die ebenfalls im offenen Teil des Hangars stehen. Letztgenannte trägt noch die drei Zusatzbehälter wie in der statischen Ausstellung bei der AirVG im letzten Mai. Hinter großen Türen finden sich dann auch die restlichen Maschinen - die von mir gesuchte 134, die 135 und die 117, die zuletzt im August 2024 zur Siegesfeier über Knin geflogen war. Als einziger von vier Doppelsitzern der zweiten Modernisierungsrunde ist daneben noch die 166 abgestellt. Die Schwestermaschine 164 war im Dezember 2022 infolge eines technischen Defekts abgestürzt. Oberstleutnant Milatović und sein Kollege Major Ivan Lukan konnten sich erfolgreich katapultieren. Die rot-weiße 165 steht immer noch draußen an der Vorstartlinie und die 167 wird im QRA-Gebäude bereits für die Ausstellung im Technischen Museum von Zagreb vorbereitet. Natürlich bitte ich darum, auch diese Maschine fotografieren und auch dieser Wunsch wird mir gewährt. Die 167 steht aufgebockt, mit gezogenem Heck und ohne Triebwerk in der Halle und soll in den nächsten Wochen in einen technisch perfekten Zustand gebracht werden, bevor sie ins Museum überführt wird. Damit ist das Besuchsprogramm eigentlich komplett, aber bevor die Maschinen von der Vorstartlinie weggeschleppt werden, soll noch ein Bild mit den "letzten Mohikanern" des MiG-21-Betriebs entstehen. Von den zuletzt drei MiG-21-Piloten im QRA sind zumindest zwei verfügbar, hinzu kommen sechs Techniker, die sich aktuell noch mit den MiGs beschäftigen. Als diese Bilder im Kasten sind, entstehen noch zahlreiche weitere beim Schleppen, schließlich gehört auch das zum technischen Dienst. Zudem habe ich im Laufe der Jahre ein besonderes Faible für die zumeist landestypischen Schleppmittel entwickelt und werde auch diesmal nicht enttäuscht. Ein einheimischer Traktor, hergestellt in Rijeka, zieht die Maschinen zurück an ihre Standplätze. Erst als die letzte Maschine verschwunden ist, machen wir uns auf den Weg zurück in Staffelgebäude. Das Angebot, auch noch die Rafale-Wartung und den Simulator anzuschauen, muß ich schweren Herzens ausschlagen, denn mittlerweile bin ich geschlagene fünf Stunden auf dem Platz und die Heimfahrt über 850 Kilometer liegt noch vor mir. Mit herzlichem Dank für die Gastfreundschaft verabschiede ich mich von Oberstleutnant Milatović und seinen Kollegen. Im strahlenden Sonnenschein und mit dem guten Gefühl, mich von Europas letzten MiG-21 würdig verabschiedet zu haben, mache ich mich auf den Heimweg.
Der Autor dankt Oberstleutnant i.G. Burkhard Weber, Major Antonija Trupinić, Oberstleutnant Zvonimir Milatović sowie allen Angehörigen der kroatischen Luftstreitkräfte, die diesen Besuch möglich machten.
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